Change-Kommunikation: Teufelskreise erkennen und auflösen

Wie in Veränderungsprozessen echter Dialog entsteht. Und warum das wichtig ist. 

Hatten Sie als Führungskraft in einem Veränderungsprozess schon einmal das Gefühl, auf der Anklagebank zu sitzen? Sie werden gelöchert mit Fragen. Auf die ersten haben Sie noch gute Antworten. Sie sind schließlich vorhersehbar. Doch je länger die Fragerunde andauert, desto weiter dringen Ihre Mitarbeiter in Gefilde vor, die Sie trotz aller Sorgfalt noch nicht durchdacht haben. Wie auch? Sie stehen ja noch ganz am Anfang des Prozesses. 

Und dann sind da noch die Fragen, die eigentlich Vorwürfe und Unterstellungen sind. Woher kommt diese Feindseligkeit?  

Ein Blick auf die Dynamik und Annahmen klassischer Change-Kommunikation kann Antworten darauf geben und erschließt neue Handlungsmöglichkeiten zur Gestaltung wirksamer Kommunikation in Veränderungsprozessen.   

Die Dynamik klassischer Change-Kommunikation  

Unter Change-Kommunikation verstehe ich Kommunikationsmaßnahmen, die von den Initiatoren einer Veränderung bewusst ergriffen werden, um die Umsetzung der Veränderung durch alle Beteiligten zu initiieren. Gängige Formate der Change-Kommunikation sind Infoveranstaltungen für Mitarbeiter, offizielle Management-Rundmails, vielleicht eine Videobotschaft von der Geschäftsführerin, FAQ-Listen im Intranet. 

All diese Maßnahmen basieren auf bestimmten Annahmen darüber, was Change-Kommunikation in Veränderungsprozessen zu leisten hat. Drei solcher Annahmen begegnen mir in fast jedem Veränderungsprojekt – sei es auf Unternehmens-, Abteilungs- oder Teamebene. 

Annahme 1: Wir müssen die Leute informieren bzw. abholen 

Auf den ersten Blick erscheint diese Aussage absolut einleuchtend. Wir, die Initiatoren der Veränderung, informieren die Leute, also die restlichen Organisationsmitglieder, über unser Vorhaben. Wie sonst sollen sie in die Lage versetzt werden, sich an der Umsetzung der Veränderung zu beteiligen? 

Ungewollt geraten die Informierten durch diese Art von Kommunikation jedoch in eine passive Rolle. Meist wird in eine Richtung und zeitlich versetzt kommuniziert, z.B. in Form der genannten Infoveranstaltungen, Management-E-Mails oder Videobotschaften. Auf diese Weise setzen sich die Informierten nicht aktiv mit dem Veränderungsvorhaben und den notwendigen Umsetzungsschritten auseinander. Es entsteht eine Trennung zwischen den informierenden Denkern und Machern und den informierten Betroffenen. Das schafft keine Motivation, sich für die Veränderung zu engagieren. Bei vielen Mitarbeitern löst es sogar Widerstand aus – allerdings nicht in erster Linie gegen die Veränderung selbst, sondern dagegen, in diese passive Rolle gedrängt zu werden. 

Die Feststellung, dass sich nach Infoveranstaltungen und Co. nichts in Richtung Umsetzung tut, führt dann häufig zu… 

Annahme 2: Wir müssen die Leute begeistern und mitnehmen 

Auf Basis dieser Annahme werden aufwendige Motivationsveranstaltungen organisiert, möglichst eingängige Bilder, Plakate und Videos produziert, emotionale “Wir schaffen das”-Claims ausgerufen. Auch diese Maßnahmen der Change-Kommunikation lösen mitunter heftigen Widerstand aus. Mitarbeiter fühlen sich unter Druck gesetzt, alles an der Veränderung zu begrüßen und zu feiern. Angst, Zweifel, Ärger erscheinen illegitim.  

Das Gute ist: Begeisterung ist für die Umsetzung von Veränderungen erst einmal nicht notwendig. Wenn ich mich entschließe, mich mehr zu bewegen, um gesund zu bleiben, dann muss ich nicht jede sportliche Aktivität mit größter Begeisterung betreiben. Es reicht, wenn ich einen übergeordneten Nutzen im Sport erkenne. Wenn ich dann erste positive Effekte der Bewegung spüre, habe ich einen weiteren Grund, dranzubleiben. Dem initialen Entschluss geht allerdings ein Erkenntnisprozess voraus, der zunächst eher negative Emotionen auslöst: Mir wird bewusst, dass ich liebgewonnene Gewohnheiten aufgeben muss. 

Ähnlich ist es in Veränderungsprozessen im Unternehmen: Emotionen sind Teil des Verarbeitungsprozesses. Angst, Trauer, Wut sind also eigentlich sogar ein gutes Zeichen. Sie deuten darauf hin, dass die Beteiligten sich aktiv damit auseinandersetzen, was die Veränderung für sie bedeutet. Und erst wenn sie das getan haben, werden sie sich für ihre Umsetzung engagieren. Durch erste Erfolge kann dann auch so etwas wie Begeisterung entstehen.  

Auf (negative) Emotionen wird in der Change-Kommunikation jedoch häufig reagiert mit… 

Annahme 3: Wir müssen den Leuten Sicherheit geben und auf alles eine Antwort haben 

Es ist das Wesen von Veränderung, dass sie eine Reise ins Unbekannte ist. Und es ist menschlich, dass diese Unsicherheit Angst auslöst. Meiner Erfahrung nach scheuen viele Führungskräfte sich jedoch, ihren Mitarbeitern diese Unsicherheit zuzumuten. Weil sie dann das Gefühl haben, persönlich für die negativen Emotionen ihrer Mitarbeiter verantwortlich zu sein. Oder weil sie fürchten, dass der Eindruck entstehen könnte, sie hätten die Situation nicht im Griff. Solche Überlegungen sind häufig Ausdruck der bestehenden Unternehmenskultur und der mit ihr verbundenen Vorstellung von „guter Führung 

Doch damit bürden Führungskräfte sich eine Verantwortung auf, der niemand gerecht werden kann. Da ist sie, die Anklagebank. 

Wie Teufelskreise entstehen 

Die beschriebenen Annahmen lösen also häufig genau das aus, was sie vermeiden wollen: Passivität, Angst und Widerstand. Die wahrgenommene Passivität wird wiederum als fehlende Motivation oder mangelnde Einsicht gedeutet. Die Kommunikationsmaßnahmen werden ausgeweitet und verstärkt. Es wird weiter informiert, abgeholt, begeistert, mitgenommen und Sicherheit vermittelt. Das wiederum verstärkt Passivität und Widerstand. Ein Teufelskreis entsteht.

Diese Dynamik können Change-Initiatoren über genau zwei Ansatzpunkte auflösen. Ihr eigenes Kommunikationsverhalten. Und ihre eigene Haltung. Denn nur diese beiden können sie beeinflussen.

Dialogorientierte Change-Kommunikation 

Allen drei beschriebenen Annahmen ist gemeinsam, dass sie mit “Wir müssen die Leute…” beginnen. In dieser Formulierung drückt sich eine Haltung aus, in der das “Wir” agiert, während “die Leute” passiv bleiben. Wenn wir die Trennung zwischen einem agierenden “Wir” und reagierenden “Leuten” aufheben, entsteht eine andere Haltung. 

“Wir wollen gemeinsam mit Euch … 

  • … die Weichen für die Zukunft stellen.” 
  • … erarbeiten, was wir dafür lernen und verlernen müssen.” 
  • … Verantwortung übernehmen.” 

Aus einer mit Kommunikationsmaßnahmen zu behandelnden Zielgruppe werden Gestaltungspartner. So entwickelt sich eine andere Art von Change-Kommunikation. Wer gemeinsam gestalten will, lädt zum Dialog ein. 

Häufig stößt diese Einladung zum gemeinsamen Gestalten bei Mitarbeitern erst einmal auf Ratlosigkeit. Vor allem dann, wenn im Unternehmen über Jahre ein anderes Muster eingeübt und kultiviert wurde. 

  • „Meinen die das ernst?“
  • „Das ist doch nur eine neue Management-Masche.“
  • „Am Ende machen sie eh, was sie wollen.“ 

Das sind typische Vorbehalte, die bei einem solchen Musterwechsel zunächst bestehen. 

Wenn die Initiatoren der Veränderung die Einladung zum Dialog jedoch über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten und immer wieder bekräftigen, kann ein neuer Kreislauf entstehen.

Dialog ermöglicht Beteiligung

Um diese Teilhabe zu ermöglichen, braucht es Formate, in denen die Gestaltungspartner Raum für die Gestaltung haben. Das Schaffen eines solchen Raumes verleiht der Einladung zum gemeinsamen Gestalten den Nachdruck und die Glaubwürdigkeit, die sie braucht, damit Mitarbeiter den beschriebenen Gestaltungswillen entwickeln. Der Archetyp dialogorientierter Change-Kommunikation ist daher der moderierte, interaktive bzw. co-creative Workshop. 

Die Change-Initiatoren stellen das Veränderungsvorhaben vor. Ihre Gestaltungspartner setzen sich damit auseinander, was es für sie bedeutet und wie sie zur Veränderung beitragen können. Sie teilen ihre Sorgen und Hoffnungen, Verständnisfragen und Umsetzungsideen mit den Initiatoren der Veränderung. Das bedeutet nicht, dass über das grundsätzliche Veränderungsvorhaben noch einmal neu und basisdemokratisch entschieden wird. Hier gilt es, ein angemessenes Maß an Beteiligung zu geeigneten Fragen zu finden. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe, für die es sich lohnt, externe Experten für die Gestaltung solcher Prozesse hinzuzuziehen – mindestens in der Konzeption, je nach Bedarf auch für die Moderation. Tipps zur Gestaltung eines solchen Formats habe ich vor einer Weile in diesem Artikel beschrieben. 

Dialog ermöglicht Entwicklung

Gute dialogorientierte Change-Kommunikation berücksichtigt zudem den Prozesscharakter von Veränderung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass nach dem ersten Dialogworkshop noch nicht alle Beteiligten die erhofften Verhaltensänderungen zeigen werden. Für sie fängt der Erkenntnisprozess, den die Change-Initiatoren längst durchlaufen haben, ja jetzt erst an. Veränderung benötigt Zeit. Zeit, in der der Dialog nicht abreißen sollte. 

Ich betrachte daher die Gesamtheit der Maßnahmen der Change-Kommunikation als einen großen Dialog, in dem der nächste Schritt immer Bezug auf den vorherigen nimmt. So kann sich beispielsweise an eine initiale (nicht interaktive) Videobotschaft des Managements nach ein paar Tagen eine interaktive Webkonferenz anschließen, in der das Gehörte reflektiert wird. Oder nach einem Kick-off Workshop mit dem erweiterten Führungsteam werden einige Wochen später im selben Kreis die Erfahrungen in der Umsetzung reflektiert. Auf diese Weise werden neue Erkenntnisse frühzeitig berücksichtigt. Lernen und Entwicklung findet von Anfang an statt und nicht erst im Lessons Learned nach mehreren Monaten wenig wirksamem Abholen, Mitnehmen, Begeistern und Versichern. 

Einen solchen Kommunikationsprozess zu gestalten kostet Zeit, intensive Denkarbeit und Geduld. Aber es lohnt sich. Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis Sie wieder auf der Anklagebank sitzen. 

Sie denken jetzt: mit meinen Mitarbeitern geht das nicht? Das ist möglich. Wissen können Sie es aber nur, wenn Sie es ausprobieren. Und zwar ernsthaft, neugierig und ergebnisoffen. Viel Spaß dabei. Ich freue mich über Erfahrungsberichte!

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Zum Weiterlesen

Ein umfassendes, praktisch erprobtes Konzept zu dialogorientiertem Change-Management beschreiben meine Kollegen Gabriela Bormann, Marcus Benfer und Hans-Werner Bormann in ihrem Buch “Change durch Co-Creation”.

Theoretischen Hintergrund und zahlreiche alltagsnahe Beispiele zur Entstehung und Auflösung kommunikativer Teufelskreise sowie weiterer kommunikationspsychologischer Phänomene liefert das Standardwerk “Miteinander reden” von Friedemann Schulz von Thun.

Dieser Arktikel wurde zuletzt am 03.04.2020 überarbeitet. Vielen Dank an meine Twitter-Community und Kollegen für das wertvolle Feedback.

Beitragsbild: Kane Reinholdtsen, Unsplash

5 thoughts on “Change-Kommunikation: Teufelskreise erkennen und auflösen

  1. Sehr guter Post. Danke Anne für den Einblick, wie solche Teufelskreise entstehen könne. Die sich aufbauenden Wiederstände bei Veränderungen, bei uns im Kontext der Digitalisierung von Geschäftsmodellen, fallen uns leider immer wieder ähnliche Muster auf.
    BG
    Johannes

    1. Vielen Dank, Johannes! Schön zu lesen, dass der Beitrag auf konkrete Erfahrungen aus Eurer Praxis passt. Vielleicht lässt sich die ein oder andere Idee ja in Eure Arbeit intergrieren.
      Viele Grüße, Anne

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