Management-Religionen: Wenn Mittel zu Zwecken werden

Im Management geht es darum, für einen bestimmten Zweck die geeigneten Mittel zu finden und diese zweckgerichtet einzusetzen. Doch gelegentlich – vielleicht auch häufig – wird das Mittel selbst zum Zweck. Unbemerkt werden Führungskräfte und Mitarbeiter so zu Anhängern einer Management-Religion. Das kann zur Folge haben, dass der eigentliche Unternehmenszweck in Vergessenheit gerät, viel Zeit, Energie und Geld verschwendet wird und das betroffene Unternehmen letztlich seine Ziele verfehlt. An den Beispielen Digitalisierung und Feelgood Management zeige ich, wie solche Management-Religionen entstehen, und wie man sich vor ihnen schützt.

Beispiel Digitalisierung

Warum gibt es digitale Produkte? Weil sie Probleme von Kunden lösen. Sie sind also Mittel zum Zweck. Der Nebeneffekt solcher digitalen Produkte ist, dass sie die herkömmlichen Lösungen für dieselben Probleme vom Markt verdrängen. Das macht den Herstellern herkömmlicher Produkte Angst. Also denken sie sich: “Na, wenn man jetzt digital sein muss, um erfolgreich zu sein, dann werden wir auch digital.” Und schon wird aus dem Mittel (digitales Produkt) ein Zweck (digital sein). Es werden Chief Digital Officers eingestellt und alle “(Scheiß-)Prozesse digitalisiert”, in der Hoffnung, dadurch mit den disruptiven Start-ups dieser Welt konkurrieren zu können. Damit wird das Mittel nicht nur zum Zweck, sondern zur Religion. Man führt Rituale durch (in der Kirche: beten, im Unternehmen: digitalisieren) und hofft, dass alles gut wird. Die Wahrnehmungsfähigkeit der Organisation für den eigentlichen Zweck (= Lösungen für Kundenprobleme finden) geht verloren. Wer aber Kunden keine Lösungen mehr bietet, verschwindet garantiert vom Markt. Auch mit CDO und digitalen Prozessen. Das ist die Gefahr, die von Management-Religionen ausgeht.

Beispiel Feelgood Management

Mit Neid blicken traditionsreiche Unternehmen auch auf das sagenhaft gute Arbeitgeber-Image von disruptiven Start-ups und Silicon-Valley-Giganten. Gepaart mit der Annahme, dass zufriedene Mitarbeiter Höchstleistungen erbringen, führt das dazu, dass unter der Überschrift “Feelgood Management” in Unternehmen allerhand Gute-Laune-Maßnahmen ergriffen werden. Es werden Obstkörbe, Kickertische und Siebträgermaschinen samt Barista aufgestellt und gehofft, dass das marode Betriebsklima sich dadurch wieder einrenkt. Hat ja bei Google auch geklappt. Oder? Die vermeintlichen Feelgood-Kennzeichen im Silicon Valley dürften wohl eher Begleiterscheinung als Mittel zu irgendeinem Zweck sein. Die Gründer der Start-ups mit Sitzsack und Bällebad waren junge Nerds, die sich die Arbeitsumgebung ihrer Träume bauen konnten. Weil sie erfolgreiche Produkte gemacht haben. Nicht umgekehrt.

Damit gehört manches, was unter der Überschrift Feelgood Management passiert, zur gefährlichsten Art der Management-Religionen: den Cargo-Kulten. Hier werden Dinge zum Selbstzweck, die niemals als Mittel gedacht waren. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass Unternehmen es sich und ihren Mitarbeitern schön machen. Aber zu glauben, dass Obstkörbe die Leistung steigern und Führung überflüssig machen, ist so ähnlich wie Landebahnen mitten in die Wildnis zu bauen, in der Hoffnung, dass wieder ein paar Flugzeuge mit Frachtgut vorbeikommen.

Im schlimmsten Fall hindert Feelgood Management Mitarbeiter daran, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen und ihre Führungskraft in die Pflicht zu nehmen. Stattdessen heulen sie sich beim Feelgood Manager aus, der irgendwann selbst ein Burnout erleidet, weil er die Sorgen der gesamten Belegschaft mit sich herumträgt, ohne sie ursächlich lösen zu können. Ich habe große Zweifel, dass dies das Erfolgsrezept des Silicon Valley ist.

Was hilft?

Digitalisierung und Feelgood Management sind nicht die einzigen Bereiche, in denen Management-Religionen entstehen. Abteilungen erheben Kennzahlen, weil das Controlling sie braucht – und nicht, um Erkenntnisse über die Wirksamkeit ihrer Arbeit zu erlangen. Führungskräfte bewerten die Leistung ihrer Mitarbeiter auf einer Skala von 1 bis 5, weil die Personalabteilung das will – und nicht, weil sie ihre Mitarbeiter ernsthaft zu einem veränderten Leistungsverhalten bewegen wollen. Mitarbeiter finden sich jeden Montag zur Teambesprechung ein, weil man das halt so macht – und nicht, weil sie wirklich etwas zu besprechen hätten. Wie können Sie verhindern, dass sich in Ihrem Unternehmen ähnlich sinnlose Rituale etablieren?

1. Die Zielsetzung klären

Bevor Sie einen Auftrag annehmen oder sich selbst erteilen, sollten Sie immer klären, welche Ziele Sie oder Ihr Auftraggeber damit erreichen wollen. Mit anderen Worten: Zu welchem Zweck sie aktiv werden. Digitalisieren Sie, stellen Sie Obstkörbe auf, aber fragen Sie sich vorher immer, wozu Sie das tun. Wenn die Antwort eine andere ist als mittelbar “um unseren Unternehmenszweck zu verfolgen”, dann liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Zweck-Mittel-Verkehrung mit Religionspotenzial vor und Sie sollten umgehend sämtliche Aktivitäten in diese Richtung einstellen.

2. Die impliziten Annahmen auf Plausibilität prüfen

Wenn Ihr Vorhaben die erste Hürde des Religions-Tests genommen hat, sollten Sie die Annahmen überprüfen, auf denen Ihre Wahl von Zweck und Mitteln basiert. Ist es plausibel, dass Sie am Markt gegen Wettbewerber mit digitalen Produkten bestehen, wenn Sie Ihre internen Prozesse digitalisieren? Wenn sich in diesem Schritt das gewählte Mittel als ungeeignet herausstellt, suchen Sie ein anderes.

3. Die Wirksamkeit des eingesetzten Mittels überprüfen

Da es im Management um die Beeinflussung komplexer sozialer Systeme geht, ist die tatsächliche Wirkung vieler Maßnahmen nicht vorhersehbar – auch wenn missverstandene Korrelationsstudien immer wieder das Gegenteil suggerieren. Daher sollten Sie die Ihrer Maßnahme zugrunde liegende Annahme immer einem Realitätscheck unterziehen. Bereits vor der Umsetzung sollten Sie sich die Frage stellen: Woran merke ich, dass meine Maßnahme wirksam ist? Während und nach der Umsetzung sollten Sie innehalten und prüfen, ob sich etwas verändert hat und ob dies den angestrebten Zweck erfüllt. Wenn nicht, probieren Sie ein anderes Mittel. Erklären Sie nie das Mittel zum Selbstzweck, bloß um Ihre bisherigen Aktivitäten zu legitimieren. Dann gehen Sie lieber in die Kirche.

5 thoughts on “Management-Religionen: Wenn Mittel zu Zwecken werden

  1. Sehr schöner Artikel 🙂 So etwas ähnliches hab ich gestern auf dem Blog von Harvard Business Manager gelesen: http://www.harvardbusinessmanager.de/blogs/vereinfachung-so-organisieren-sie-ihr-unternehmen-effizient-a-1112272.html

    Da geht’s auch um Firmen, die aus dem Fokus verloren haben, was ihre Kunden wollen und sich nur noch um interne statt um die externen Prozesse und Angelegenheiten zu kümmern.

    Leider kommt mir so vieles davon bekannt vor :'(

  2. Ich hoffe, der Barista steht elegant!
    Sogleich diesen unqualifizierten Kommentar entschuldigend, verspreche ich, mich im Laufe der Woche zu melden. 🙂
    VlG!

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