Die Crux mit der Matrix

Jeder Personaler, der sich schon einmal mit der strategischen Ausrichtung seiner Talent Management-Bemühungen beschäftigt hat, kennt sie: Die Matrix. Gemeint ist die grafische Darstellung des Talentportfolios eines Unternehmens auf den Achsen Leistung und Potenzial. Die Talent-Matrix funktioniert so: Mitarbeiter werden bezüglich ihrer Leistung und ihres Potenzials bewertet. Die Bewertungen werden anschließend in einem Vier- bis Fünfundzwanzig-Felder-Raster visualisiert. Fertig.

Fertig? Ja. Tatsächlich folgen dieser Analyse oft keine weiteren Aktivitäten. Das ist eines der größten Probleme am Einsatz dieses Instruments. Es wird häufig genutzt, ohne dass klar ist, was mit den Ergebnissen anschließend passiert, ob und wie sie an die bewerteten Mitarbeiter kommuniziert werden, welche Konsequenzen seitens HR und Führung aus ihnen gezogen werden und ob diese Konsequenzen umsetzbar sind. Im schlimmsten Fall werden bei Führungskräften und Mitarbeitern hohe Erwartungen geweckt, die durch fehlende Maßnahmen enttäuscht werden. Erklärte High Potentials stellen Beförderungsforderungen oder lassen sich von Headhuntern abwerben. Alle anderen Mitarbeiter reduzieren ihr Engagement auf ein Minimum, da sie schließlich eh den Stempel des Mittelmaßes aufgedrückt bekommen haben. Und Führungskräfte sind genervt von den zeitfressenden Besprechungen mit HR, die ihr Underperformer-Problem am Ende doch nicht lösen.

Doch die fehlenden Maßnahmen sind nicht das einzige Problem an der Matrix. Eine Reihe weiterer Faktoren sind beim Einsatz dieses Instruments problematisch:

1. Der Bedarf des Unternehmens ist unklar oder passt nicht zu den in der Matrix gestellten Fragen.

Sie haben keinen Bedarf an Nachwuchsführungkskräften? Weil Sie z.B. durch einen Unternehmenszusammenschluss gerade einen Überschuss an (hoffentlich guten) Führungskräften haben? Gut. Warum sollten Sie sich also fragen, wer potentielle Nachwuchsführungskräfte sind? Sie können sich viel Zeit sparen, indem Sie keine Bewertung vornehmen und keine Diskussionen über die korrekte Einordnung einzelner Mitarbeiter in der Matrix führen. Indem Sie Ihren High Potentials nicht umständlich erklären, dass sie zwar High Potentials sind, Sie ihnen aber aktuell keine interessanten Karriereperspektiven in Aussicht stellen können. Dass Sie sie deswegen lieber in ein willkürlich ausgewähltes Management-Training schicken, wo sie die Fähigkeiten lernen, die sie für die nicht vorhandene neue Führungsrolle benötigen. Auch das Geld für dieses Training können Sie sich sparen. Wenn Sie einfach nie die Frage stellen, wer denn ein vielversprechender Nachfolger für die nicht nachzubesetzenden Positionen ist.

Talent Management Instrumente müssen zum Unternehmenskontext passen. Vor der Frage, was das richtige Instrument ist, muss immer die Frage stehen, was die strategische Herausforderung ist. Die Matrix ist nur in manchen Fällen das passende Instrument. In anderen können eng getaktete Feedbackgespräche oder Assessment Center für einen bestimmten Personenkreis – z.B. die nach der Fusion übermäßig vorhandenen Führungskräfte – passender sein.

2. Die Bewertungsgrundlage fehlt.

In jedem Fall hängt der Erkenntniswert der Matrix erheblich von der Qualität der eigegebenen Daten ab. Wenn die Einschätzung von Potenzial und Leistung der bewerteten Mitarbeiter auf einer reinen Daumenpeilung basiert, die einmal jährlich in einem schlecht vorbereiteten Meeting abgegeben wird, ist sie vollkommen wertlos oder sogar irreführend. Dann werden Mitarbeiter als Underperformer abgestempelt, weil sie der Führungskraft mit ihren anstrengenden Fragen schon länger ein Dorn im Auge sind. Oder es werden diejenigen zum High Potential erklärt, die der bewertenden Führungskraft am ähnlichsten sind – das Phänomen kennen wir ja schon aus dem Recruiting. Ob das aber diejenigen sind, die später auch das Unternehmen voranbringen, sollte zumindest hinterfragt werden.

3. Potenzial und Leistung werden gleichgesetzt.

Eine der Hauptfragen, die die Matrix beantworten soll, ist welche Mitarbeiter nicht nur hohe Leistung zeigen, sondern auch das Potenzial zur Übernahme weiterführender Aufgaben haben. Damit wird sie zu einem Instrument der strategischen Personalplanung. Doch Potenzial lässt sich nicht direkt beobachten. Deshalb wird es oft an der erkennbaren Leistung eines Mitarbeiters festgemacht. Wer in seiner aktuellen Rolle gute Leistung zeigt, dem traut man auch die Übernahme einer weiterführenden Position zu. Damit wird Potenzial zu einer linearen Funktion von Leistung. Und die typische Verteilung der Mitarbeiter in der Matrix sieht dann so aus:

Potenzial-Leistung-linear

Wenn wir aber davon ausgehen, dass Potenzial und Leistung zwei unabhängige Faktoren sind, und für beide eine Normalverteilung gilt, dann müsste sich die Mehrheit der Mitarbeiter in der Mitte der Matrix befinden und die “Mitarbeiterdichte” nach außen hin immer weiter abnehmen.

Sollten Sie am Ende Ihrer Talent-Konferenz also mal wieder vor dem obigen Bild sitzen, können Sie davon ausgehen, dass oben rechts nicht Ihre High Potentials stehen, sondern die High Performer.

4. Maßnahmen werden ohne Abgleich mit den Erwartungen, Bedürfnissen und Zielen des Mitarbeiters bestimmt.

Angenommen, Sie haben bis hierhin alles richtig gemacht und ein differenziertes Portfolio Ihrer Mitarbeiter vorliegen. Was machen Sie damit? Das Verlockende an der Matrix ist, dass sie sich in n² Felder einteilen lässt. Das reduziert die Komplexität der Frage, welcher Mitarbeiter wie zu führen, zu entwickeln und zu “motivieren” ist. Aber weniger komplex heißt leider auch weniger wirkungsvoll. Mitarbeiter sind Individuen – klingt trivial, wird aber sehr oft ignoriert. Sie haben individuelle Motivationsmuster, Erwartungen, Bedürfnisse und Ziele. Die Matrix sagt Ihnen (hoffentlich), welcher Mitarbeiter für Sie welche strategische Bedeutung hat. Was sie Ihnen nicht sagt, ist ob und wie Sie den einzelnen Mitarbeiter zur Erreichung Ihrer strategischen Ziele einsetzen können. Das müssen Sie ihn immer noch selber fragen.

Was sind Ihre und Eure Erfahrungen mit der Talentmatrix? Ich freue mich über Diskussionsbeiträge in den Kommentaren!

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