Culture-Technology-Fit – Teil 2

Bild: Eisberg

Unternehmenskultur als Gegenstand von Veränderung.

In Zeiten der Digitalisierung sind Implementierungsprojekte für neue IT-Systeme in vielen Unternehmen an der Tagesordnung. Doch beinahe genauso oft wie sie mit hehren Zielen und hohen Erwartungen gestartet werden, stolpern sie über interne Hürden, die in der Unternehmenskultur begründet sind. Im ersten Teil dieses Beitrags habe ich deutlich gemacht, wie wichtig es ist, dass Kultur und Technologie zusammenpassen – dass also ein Culture-Technology-Fit gegeben ist. In diesem und dem folgenden Teil beschäftige ich mich mit der Frage, welche unterschiedlichen Herangehensweisen zu wählen sind, um einen bestmöglichen Culture-Technology-Fit zu erreichen und so das volle Potenzial digitaler Systeme für das jeweilige Unternehmen auszuschöpfen.

Kulturbewusstsein als Voraussetzung für erfolgreiche Implementierung

In Abhängigkeit davon, ob die bestehende Kultur im Rahmen eines Softwareprojekts gezielt verändert oder bewusst erhalten bleiben soll, ist eine unterschiedliche Herangehensweise nötig. Das Bewusstsein darüber, welche Dimensionen der bestehenden Kultur vom Softwareprojekt berührt werden, ist also der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg zum Culture-Technology-Fit. Die schlechte Nachricht ist: Es ist vermutlich auch der schwierigste. Denn das Wesen von Unternehmenskultur ist ja gerade, dass sie unbewusst wirkt. Unternehmenskultur sind nicht die Werte oder Mission-Statements, die in der Hochglanzbroschüre stehen. Unternehmenskultur sind die gemeinsamen impliziten Grundannahmen, die das tägliche Handeln der Mitarbeiter bestimmen. Die gute Nachricht ist: Um Kultur in IT-Projekten erfolgreich zu berücksichtigen, brauchen Sie keine vollumfängliche Analyse aller Facetten Ihrer Unternehmenskultur vorzunehmen. Entscheidend ist, dass Sie diejenigen impliziten Kulturannahmen identifizieren, die durch das zu implementierende System infrage gestellt werden. Das geht so:

Schritt 1: Prozesse visualisieren

Am besten fangen Sie mit einem Schritt an, der ohnehin zu jedem guten Implementierungsprojekt gehört: Die bestehenden und/oder zukünftigen Prozesse aufschreiben, die vom neuen IT-System abgebildet werden sollen. An diesen hangeln Sie sich anschließend entlang und fragen: “Werden diese Prozesse bei uns bereits gelebt?” Falls ja, ist schon viel erreicht und Sie dürfen davon ausgehen, dass das Projekt mit gutem Projektmanagement, begleitender Kommunikation und Anwenderschulungen ziemlich glatt über die Bühne gehen wird.

Das ist jedoch nicht der Regelfall. Bei denjenigen Prozesselementen, die noch nicht gelebt werden, sollten Sie sich die Frage stellen, inwieweit sie im Widerspruch zu grundlegenden Annahmen Ihrer Unternehmenskultur stehen. Denn jeder Prozess und damit auch jedes System, das ihn abbildet, fußt genau wie die Unternehmenskultur auf grundlegenden Annahmen, wie die Dinge in Unternehmen zu sein haben. Wenn die Annahmen, auf denen Ihre systemgestützten Prozesse basieren, im Widerspruch zu den Annahmen Ihrer Unternehmenskultur stehen, stimmt der Culture-Technology-Fit nicht.

Ein ERP-System, das alle denkbaren Geschäftsprozesse abbildet, basiert z.B. auf der Annahme, dass Unternehmen dann besonders erfolgreich sind, wenn alles unternehmerische Handeln transparent, dokumentiert und auswertbar ist. Ein Feedbacktool zur Leistungsbeurteilung von Mitarbeitern geht davon aus, dass Mitarbeiter Feedback benötigen, um die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen. Ein CRM-System, in dem alle Vertriebler ihre Kundenkontakte und -aktivitäten dokumentieren sollen, geht davon aus, dass das Teilen von Informationen innerhalb eines Unternehmens zum Vorteil aller ist. Das alles sind Annahmen, zu denen man – oder Ihre Kultur – auch eine andere Meinung haben kann.

Schritt 2: Kulturannahmen bewusstmachen

Auf Basis dieser impliziten Annahmen, die vom zu implementierenden System vorausgesetzt werden (Systemannahmen), stellen Sie sich nun die Frage, welche konkurrierende Annahme jeweils Ihrer bestehenden Kultur zugrunde liegt (Kulturannahmen). Das kann am Schreibtisch passieren, wenn Sie bereits ein hohes Kulturbewusstsein haben. Besser sollte es interaktiv passieren, da Sie dann gleich zu Beginn des Projekts die wichtigsten Stakeholder und zukünftigen Systemanwender einbeziehen und sich Ihre eigenen blinden Flecken bewusstmachen. Wenn Sie einen neutralen Blick und eine professionelle Begleitung der Kulturanalyse wünschen, ist externe Unterstützung hilfreich. Das Ergebnis der Analyse sind Aussagenpaare, die auf der einen Seite die Systemannahmen, auf der anderen Seite die Kulturannahmen ausdrücken. Zur Systemannahme “Mitarbeiter benötigen Feedback, um die an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen” gesellt sich dann beispielsweise die Kulturannahme “Mitarbeiter, die die an sie gestellten Anforderungen nicht erfüllen, müssen ausgetauscht werden.”

Schritt 3: Entscheidungen treffen

Jetzt könnte man meinen, es sei bereits alles getan: Die Kulturannahmen sind transparent, ihr Widerspruch zum System auch. Setzen wir also im Change Management unseren Fokus auf diese Widersprüche und reden möglichst früh, eindringlich und lange auf die Systemanwender ein, dass die neue Annahme viel besser ist als die alte. Mit dieser Vorgehensweise riskieren Sie, wichtigen Erfolgsfaktoren Ihres Unternehmens den Garaus zu machen! Denn nicht selten sind die bestehenden Kulturannahmen das, was das Unternehmen bisher erfolgreich gemacht hat.

Wenn Ihre Entwicklungsabteilung z.B. bisher weitgehend selbstbestimmt arbeiten konnte, war das vielleicht der Schlüssel für Ihre hohe Innovationskraft. Bevor Sie also die Abteilungsleiterin davon überzeugen, dass es viel besser ist, wenn das Innovationsteam Materialbestellungen für Experimente ab sofort nur noch über das neue ERP-System unter Einbeziehung des zentralen Einkaufs und der Qualitätsmanagementabteilung auslöst, sollten Sie sich fragen, ob Sie die Kulturannahme “Forschungsarbeit erfordert Freiraum und Kreativität.” zugunsten eines kontrollierbaren und zentral dokumentierten Bestellprozesses wirklich aufgeben wollen. Schauen Sie sich die identifizierten Kulturannahmen an und treffen Sie eine bewusste Entscheidung: Diese will ich behalten – jene nicht.

Kultur als Gegenstand der Veränderung

Betrachten wir zunächst den Fall, dass Sie eine bestimmte Kulturannahme im Zuge des IT-Projekts aufgeben wollen: Das bedeutet, dass Teile Ihrer Unternehmenskultur zum Gegenstand der Veränderung werden. Das IT-System ist dann ein wichtiges Hilfsmittel zur Kulturveränderung, da es die gewünschten neuen Verhaltensweisen technisch erzwingen kann. Für einen Kulturwandel ist dies jedoch nicht ausreichend, da er Grundannahmen Ihrer Organisation infrage stellt. Was bedeutet das für das Change Management?

Schritt 1: Kulturveränderung als gewollten Prozess kommunizieren

Da Sie sich bewusst entschieden haben, die betroffene Kulturannahme aufzugeben, können Sie die Change-Kommunikation rund um das IT-Projekt nun entsprechend gestalten. Es ist eben keine Unzulänglichkeit des eingekauften IT-Systems, dass bestimmte Dinge zukünftig anders gemacht werden sollen, sondern eine bewusste Managemententscheidung. Diese sollten Sie ausdrücklich kommunizieren und vor allem begründen. Warum haben Sie sich entschieden, die bisherige Kulturannahme aufzugeben? Warum glauben Sie, dass das Unternehmen erfolgreicher sein wird, wenn Mitarbeiter zukünftig nicht mehr einfach nur entlassen werden, wenn Sie keine Leistung zeigen, sondern vorher systemgestütztes Feedback und die Chance erhalten, ihre Leistung anzupassen? Oder wenn die Vertriebler ihre Kundenkontakte untereinander teilen und dem Unternehmen für immer zugänglich machen? Argumentieren Sie mit einem einleuchtenden Business Case statt mit unpräzisen “Durch das System wird alles besser”-Stories. Sie haben es sich schließlich vorher gut überlegt.

Schritt 2: Die restliche Organisation entrümpeln

Wenn das IT-System Grundannahmen Ihrer Kultur berührt, ist es wahrscheinlich, dass es auch andere Elemente in Ihrem Unternehmen gibt, die auf diesen Grundannahmen basieren. Um eine nachhaltige Kulturveränderung zu bewirken, sollten Sie daher auf die Suche nach weiteren “Altlasten” Ihrer Organisation gehen. Wie sieht die sonstige Prozesslandschaft aus? Gibt es etablierte Vorgehensweisen, die weiterhin die alte Kultur widerspiegeln? Welche Kulturannahmen sind in Ihren Führungs- und Anreizsystemen verankert? Welches Verhalten wird bei Ihnen im Unternehmen belohnt? Das IT-System kann zu diesem Zeitpunkt schon längst erfolgreich implementiert sein. Jedoch wird es seine volle Wirkung erst dann entfalten, wenn auch die anderen Elemente angegangen werden und somit ein echter Culture-Technology-Fit entsteht. Spätestens jetzt sollte klar sein: Digitalisierung ist weit mehr als ein IT-Projekt!

Fortsetzung folgt…

Sie wollen Ihre Kultur gar nicht verändern, weil sie der Kern Ihres unternehmerischen Erfolgs ist? Dann muss sie im IT-Projekt als Bewahrungsziel geschützt werden. Wie das geht, erkläre ich im letzten Teil dieser Beitragsreihe zum Culture-Technology-Fit.

Bild: Unsplash, Ciprian Morar

4 thoughts on “Culture-Technology-Fit – Teil 2

    1. Lieber anonymer Kommentator,

      da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Durch die frühzeitige Einbindung des Betriebsrats können Mitarbeiterinteressen in Veränderungsprozessen bereits zu Beginn des Projekts integriert werden. Entscheidend ist, einen gemeinsamen Weg zu finden, der die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und damit auch eine langfristige Perspektive für seine Mitarbeiter sicherstellt.

      Viele Grüße
      Anne Lamberts

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