Was verdanken wir einander? Anleitung zur Jahreswechselansprache à la Merkel

Auf dem gestrigen Bundesparteitag der CDU wurde nicht nur eine neue Vorsitzende gewählt, sondern auch eine alte verabschiedet. Angela Merkel tritt nach 18 Jahren Parteivorsitz ab und macht Platz für ihre Nachfolgerin. Ihre Abschiedsrede ist ein Lehrstück gelungener Führungskommunikation. Falls Sie als Führungskraft noch nicht wissen, was Sie auf Ihrer diesjährigen Weihnachtsfeier sagen wollen, dann lassen Sie sich von Merkels Rede inspirieren. Keine Sorge, Sie müssen danach nicht von Ihrer Führungsrolle zurücktreten. Die Grundstruktur von Merkels Rede lässt sich auch auf andere Führungssituationen übertragen.

Der Beginn: Einladung zum gemeinsamen Nachdenken

Angela Merkel eröffnet ihre Rede mit der Aufforderung, gemeinsam über das Motto des Parteitags nachzudenken: Zusammenführen. Und zusammen führen. Damit aktiviert sie ihre Zuhörer. Sie macht deutlich, dass es nicht nur um ihre Verabschiedung als Parteivorsitzende geht, sondern um die Zukunft der CDU als Organisation. Sie appelliert an die Verantwortung der Delegierten, diese Zukunft mitzugestalten. Indirekt stellt sie ihnen die Frage, wie das Zusammenführen und zusammen Führen gelingen kann. Damit stößt sie bei jedem einzelnen einen Denkprozess an, statt ihren Zuhörern ihre eigene Lösung zu präsentieren.

Das ist deswegen so gut möglich, weil klar ist, dass ihre eigene Lösung in Zukunft nicht mehr von Bedeutung ist. Es wäre aber auch dann nötig und wichtig, wenn sie – wie vermutlich Sie, liebe Leserin – ihr Amt behielte. Denn nur, wenn die gefundene Lösung von allen Beteiligten mitgetragen wird, kann sie ihre Wirkung entfalten. Eröffnen Sie Ihre Jahreswechselansprache mit einem Denkauftrag. Mit einer für die Zukunft Ihrer Organisation relevanten Frage, einer These, einem Motto. Dann können Sie sicher sein, dass von Ihren folgenden Worten mehr hängen bleiben wird als das obligatorische “Das Büffet ist eröffnet!”

Der Kontext: Wo wir herkommen und wo wir hingehen

Nach dankenden Worten an Vertraute und Mitstreiter blickt Merkel zurück auf ihre Anfangszeit als Parteivorsitzende. Sie erinnert an die tiefe Krise, in der die Partei nach der Spendenaffäre steckte. Sie würdigt, dass die Krise erfolgreich überwunden wurde. Sie analysiert, was die Erfolgsfaktoren hierbei waren. Sie benennt die Herausforderungen, die es zukünftig zu meistern gilt. Und macht Mut, dass es der Partei gelingen kann, auch diese Krise zu überwinden.

Damit erzählt sie eine Change-Story, die einer anstehenden Veränderung den nötigen Sinn verleiht. Veränderung kommt hier nicht als Selbstzweck daher, sondern hat einen konkreten Anlass. Veränderungshandeln ist nicht von der Willkür Einzelner bestimmt, sondern fußt auf der Reflexion vergangenen Handelns. Der Mut zur Veränderung wird nicht per “Tschakka”-Botschaft herbeiappelliert, sondern erwächst aus der Besinnung auf frühere Erfolge. Angela Merkel erklärt nachträglich, was sie zu ihrer Überzeugung “Wir schaffen das!” geführt hat. Das könnten Sie in Ihrer Ansprache zum Jahreswechsel auch tun. Oft vergessen wir, das zu erklären, was uns selbst schon selbstverständlich scheint, und sind enttäuscht, wenn wir bei unseren Zuhörern auf Unverständnis stoßen. Eine Erklärung unserer eigenen Überlegungen schafft Abhilfe.

Die Beziehung: Wie wir miteinander umgegangen sind

Bereits in ihren ersten Sätzen führt Merkel ein weiteres Thema ein: Die Beziehung zwischen ihr und ihren Mitarbeitern sowie Mitstreitern. Die Qualität ihrer Zusammenarbeit. Ihre Sonnen- und Schattenseiten. Selbstironisch bedankt und entschuldigt sie sich bei ihren Mitarbeitern dafür, dass sie mit ihren Last-Minute-Entscheidungen über das Motto der Parteitage regelmäßig für Stress gesorgt hat. Im weiteren Verlauf ihrer Rede greift sie das Thema Dankbarkeit erneut auf und fragt ausdrücklich: “Was verdanken wir einander?” Aber auch: “Was haben wir uns vorenthalten?” Sie spricht sehr offen über das, was an der Zusammenarbeit wechselseitig schätzenswert war, und das, was die eine oder andere Seite sich womöglich anders gewünscht hätte. Damit beweist sie, dass sie trotz aller Merkelschen Sachlichkeit sich selbst und andere als gefühlsbegabte Wesen begreift. Sie erkennt sowohl die Freude über gemeinsame Erfolge als auch den Frust über Streitereien und Marotten als selbstverständlichen Bestandteil zwischenmenschlicher Zusammenarbeit an. Sie benennt sehr deutlich, was konkret zu Lust und Frust geführt hat.

Offen über Emotionen zu sprechen, ist ein sehr starkes Mittel, eine Beziehung zu festigen. Neben den anstehenden sachlichen Herausforderungen und erzielten Erfolgen lohnt es sich, in einer Ansprache als Führungskraft immer auch die Beziehungsebene zu beleuchten. Was schätzen Sie an der Zusammenarbeit mit Ihren Mitarbeitern? Wo glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Verhalten für Frust gesorgt haben? Was wünschen Sie sich für die Zukunft anders? Wenn es Ihnen schwerfällt, diese Fragen zu beantworten, dann stellen Sie sich doch einfach mal vor, was Sie sagen würden, wenn es wirklich Ihre Abschiedsrede wäre. Was wäre Ihnen dann wichtig, über die Zusammenarbeit loszuwerden? Es kann für alle Beteiligten entlastend sein, das auch bei einer fortdauernden Beziehung zwischendurch einmal zu benennen.

Der Schluss: Dankbarkeit

Jedes Wort, jeder Satz in Merkels Rede sitzt. Ganz besonders die letzten. In diesem Moment sei sie von einem einzigen, alles überragenden Gefühl erfüllt, dem Gefühl der Dankbarkeit. “Es war mir eine große Freude. Es war mir eine Ehre,” schließt sie, und verlässt das Podium.

So geht Wertschätzung. Ein ehrliches, von Herzen kommendes Danke sagt mehr als jede Gehaltserhöhung oder Bonusausschüttung. Nutzen Sie die Macht dieses kommunikativen Instruments.

Ich wünsche Ihnen eine schöne Weihnachtsfeier und einen guten Start ins neue Jahr. Danke fürs Lesen!

Sie stehen mit Ihrem Team vor Herausforderungen, die mehr gemeinsames Nachdenken erfordern als eine Weihnachtsansprache? Dann könnte ein Jahres-Kickoff etwas für Sie sein. Ich unterstütze Sie gerne bei Konzeption und Moderation. Sprechen Sie mich an.

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