Change durch Co-Creation: Interview mit den Autoren des neuen Buchs

Bild: Change durch Co-Creation

Warum über Change Management immer noch nicht alles gesagt ist

Interview mit den Autoren des neuen Buchs „Change durch Co-Creation“

Je länger ich im Change-Geschäft unterwegs bin, um so mehr merke ich, wie unterschiedlich das ist, was meine Kunden, Kollegeninnen und Kooperationspartner unter „Change Management“ verstehen. Prägend für mein eigenes Change-Verständnis war die Systemische Weiterbildung „Organisationale Veränderungsprozesse gestalten“ bei der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden. Meine Lehrberater Hans-Werner Bormann, Marcus Benfer und Gabriela Bormann haben ihre Ansätze nun in einem Buch niedergeschrieben. Das habe ich zum Anlass genommen, mit ihnen über die Entstehungsgeschichte des Buchs, ihr Verständnis von Co-Creation sowie die Zukunft von Change Management zu sprechen.

Lieber Hans-Werner, lieber Marcus, liebe Gabriela, in zwei Tagen erscheint Euer neues Buch „Change durch Co-Creation – So verdoppeln Sie den Erfolg Ihrer Transformationsprojekte“.

Wann und wie ist die Idee zum Buch entstanden? Was war Euer Antrieb, Euer Change-Wissen als Buch zu veröffentlichen?

Gabriela Bormann: Wir arbeiten seit vielen Jahren zusammen, sowohl in Kundenprojekten, als auch in der systemischen Ausbildung von Führungskräften und Organisationsberatern für die WSFB-Beratergruppe Wiesbaden. Im Laufe der Jahre haben wir unsere Denk- und Arbeitsmodelle zu Veränderungsprozessen in Organisationen ständig weiterentwickelt. Jedes Kundenprojekt, jede Fallarbeit unserer Teilnehmer oder Beratungsklienten haben ein Stückchen dazu beigetragen. Wir haben erlebt, welche mentalen Modelle, also Einstellungen zu Veränderung, und welche Vorgehensweisen förderlich waren, und welche Veränderungen schwierig machten oder gar verhinderten.

Und dann kam der Tag, an dem einer von uns sagte „eigentlich müssten wir das alles mal kompakt aufschreiben“. Aus diesem ersten Gedanken ist die Buchidee entstanden.

Marcus Benfer: Die Denk- und Arbeitsmodelle, von denen Gabriela spricht, haben wir im Laufe der Jahre zu einem „Beratungsformat“ zusammengefügt, eine Art Landkarte und Roadmap für die co-kreative Gestaltung von Transformationsvorhaben – auch wenn „Roadmap“ eigentlich ein lineares Geschehen suggeriert. Das sind solche Vorhaben nie. Das Buch ‚transformiert‘ das Format in einen Leitfaden für Entscheider in Organisationen, d.h. es orientiert sich an der Realität von Führungskräften.

Hans-Werner Bormann: Wir haben Führungskräfte als Zielgruppe gewählt, denn die Zukunftsfähigkeit der Organisation sicherzustellen, ist eine der zentralen Aufgaben von Führung. Unsere Welt ist komplex. Einfache Ursache-Wirkung-Erklärungen haben ausgedient. Und damit auch das Modell einer Führungskraft, die einsame Entscheidungen trifft und den Rest nach unten delegiert. Zugleich wissen wir: Ohne Führung geht es nicht. Selbst in den modernsten agilen Organisationen braucht es eine hierarchische Führung, die in der Lage ist, Basisentscheidungen zu treffen oder herbeizuführen und einen Rahmen aufrechtzuerhalten, in dem Selbstorganisation möglich ist. Was Führung in diesem Kontext heute braucht, ist ein neues Selbstverständnis. Das beschreiben wir in unserem Buch.

Nun seid Ihr ja nicht die ersten, die ein Buch über Change Management schreiben.

Warum braucht es noch ein Change-Buch?

Gabriela Bormann: Ja, da hast Du recht. Es gibt schon eine Menge Bücher zu Change. Wir wollten ein Buch machen, das der Komplexität des Themas gerecht wird, und gleichzeitig etwas Anfassbares und Umsetzbares für die Zielgruppe Entscheider bietet. Also jene Führungskräfte, die in einem Unternehmen vor dem Problem stehen, in ihrer Organisation oder ihrem Bereich Veränderungen wirksam werden zu lassen. Zu viele Veränderungen versanden irgendwann, obwohl sie mit viel Energie gestartet wurden.

Daher haben wir ein Buch geschrieben, das zunächst die notwendigen theoretischen Grundlagen vermittelt, aber dann sehr praktisch auf die verschiedenen Herausforderungen eingeht, die uns bei unseren Beratungsprojekten immer wieder begegnen. Anhand eines durchgängigen Fallbeispiels zeigen wir Lösungsansätze auf und fordern den Leser dazu auf, dabei sein eigenes Veränderungsprojekt zu reflektieren. Es geht uns darum, dass Führungskräfte im Driver’s seat sind und nicht externe Berater. Diesen Ansatz haben wir so noch nicht in anderen Büchern gefunden.

Hans-Werner Bormann: Was Gabriela über das Versanden von Veränderungsprojekten sagt, wird immer wieder von Studien bestätigt: Die Erfolgsquote von Transformationsprojekten liegt heute bei ca. 30 %. Das heißt, ca. 70 % sind teurer, dauern länger als geplant, oder erreichen ihre inhaltlichen Ziele nicht. Diese Transformationsprojekte basieren in der Regel auf Konzepten, die seit vielen Jahren in vielen Büchern beschrieben werden. Unsere Konzepte und Methoden sind kein Allheilmittel und kommen auch nicht als solches daher, verdoppeln aber die  Erfolgswahrscheinlichkeit solcher Projekte. Sie sind in dieser zusammenhängenden Form noch nie beschrieben worden – jetzt ist die Zeit dafür reif.

Marcus Benfer: Das Thema Change Management ist so komplex, dass noch lange nicht alles darüber gesagt ist. Für uns entsteht durch die Verknüpfung unserer zentralen Konzepte – Co-Creation, Entscheidungsfokus, Reflexion, Agilität – und deren Anordnung rund um unser Kernanliegen, den Musterwechsel in Organisationen, etwas wirklich Neues.

Stichwort „Co-Creation“: Dem Titel nach zu urteilen, ist das ein zentraler Begriff in Eurem Ansatz.

Was versteht Ihr darunter? Was ist an Eurem Change-Ansatz anders als am „klassischen“ Change Management?

Hans-Werner Bormann: Viele gängige Change Management-Ansätze verstehen das Unternehmen oder die Organisation als eine Art technisches System, das mehr oder weniger simplen mechanischen Regeln folgt. Veränderungen am Grundgerüst dieses Systems – zum Beispiel durch Reorganisation, Einführung neuer Prozesse und Standards, Implementierung neuer IT-Systeme, Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter – führen diesem Verständnis nach automatisch zu einer Veränderung der Organisation: Sie wird dadurch vermeintlich innovativer, leistungsstärker, kundenfreundlicher, flexibler und so weiter. Doch dieses Denken führt zwangsläufig in die Irre. Denn Organisationen sind keine technisch-mechanischen, sondern soziale und lebende Systeme. Ihr charakteristischer Kern besteht aus ihren typischen, im Laufe der Zeit entstandenen Denkweisen, Haltungen, Werten und Handlungsmustern. Das ist das, was üblicherweise als Unternehmenskultur bezeichnet wird. Viele Change-Ansätze beziehen die Unternehmenskultur zwar mit ein. Uns ist jedoch kein Konzept bekannt, das Kulturveränderung so fokussiert wie unser Ansatz und der ein praktikables Vorgehensmodell zur co-kreativen Veränderung der Kultur liefert.

Marcus Benfer: Das sehe ich ähnlich wie Hans-Werner. Wir stellen die Veränderung der Kultur als Veränderung der Identität der Organisation in den Mittelpunkt: Wie werden Musterwechsel im Denken, Handeln und Entscheiden nachhaltig gestaltet, z. B. Entscheidungen werden jetzt agiler als bisher getroffen? Und das immer in Kombination mit den damit verbundenen strukturellen Veränderungen, z. B. die Definition neuer, agiler Entwicklungsprozesse, ohne dass dabei der Business Impact aus den Augen verloren wird: Was hat eigentlich der Kunde davon, wenn die Organisation in Zukunft agiler entscheidet?

Co-Creation verstehen wir also als den Prozess, bei dem Menschen sich gemeinsam ein Bewusstsein für die typischen mentalen Modelle und Muster ihrer Organisation bilden und gemeinsam einen Weg kreieren, diese zu verändern. Wenn wir von »gemeinsam« sprechen, meinen wir nicht alle 10.000 Mitarbeiter einer Organisation, sondern die für die Initiierung, Gestaltung und Umsetzung des Veränderungsprozesses jeweils relevanten Stakeholder. Dazu können Manager, Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen gehören. 

Wenn sich die Organisation co-creativ von innen heraus verändert, wo bleibt dann der Berater? Braucht es dann überhaupt externe Beratung?

Gabriela Bormann: Change Management wird in der Tat immer mehr zur Führungsaufgabe. Aber solange co-kreatives Arbeiten noch nicht zum Standard-Handlungsrepertoire einer jeden Führungskraft gehört, wird es vielfach noch externe Berater brauchen, die den Kompetenzaufbau in der Organisation unterstützen. In unseren Projekten integrieren wir diese Lernprozesse direkt in den Veränderungsprozess.

Marcus Benfer: Externe Berater werden auch weiterhin gebraucht, um Impulse von außen in die Organisation zu bringen. Oder auch dann, wenn sich die Organisation damit schwer tut, die Key Enabler für die Veränderung zu identifizieren, also das Problem hinter dem Problem herauszuarbeiten, beziehungsweise die entscheidenden Musterwechsel  zu gestalten. Allerdings bedingt diese Art des beraterischen Vorgehens für die meisten „klassischen“ Berater selbst einen Musterwechsel in ihrem eigenen Denken und Verhalten.

Wer sollte das Buch lesen? Was dürfen Eure Leser erwarten?

Hans-Werner Bormann: Das Buch sollten alle lesen, die substanzielle Veränderungen zu konzipieren und umzusetzen haben und dafür bereit sind, Neues zu wagen. Dafür bekommt der Leser ein Buch zum Nachdenken, Weiterdenken und Vorausdenken. Und viele Impulse für ein nützliches Führungshandeln in der VUCA-Welt, Rüstzeug gegen Beharrungstendenzen und eine effektive Struktur zur Gestaltung hochwirksamer und agiler Veränderungsvorhaben.

Gabriela Bormann: Wir haben ein Buch geschrieben für alle, die Veränderungsprozesse in ihren Unternehmen wirksam umsetzen möchten, egal ob es sich um ein kleineres Veränderungsvorhaben in einer Abteilung handelt oder ein größeres Transformationsprojekt. Immer dann, wenn Führungskräfte gleichsam einen Musterwechsel im Denken, Verhalten und ggf. Entscheiden vorantreiben müssen – und das ist in den allermeisten Fällen so – braucht es einen co-kreativen Ansatz. Die aktuelle Change Management-Diskussion wird vielfach über die neuesten Trends zu kreativen Arbeitsmethoden geführt. Wer glaubt, Methodenfeuerwerke reichen aus, um substanzielle Veränderungen zu verankern, läuft jedoch mit seinem Vorgehen häufig am Kern des Problems und damit an der Lösung vorbei.

Wenn wir uns die aktuellen Trends und Methoden anschauen, kann man den Eindruck gewinnen, dass Change Management in Zeiten von Agilität ohnehin irgendwann obsolet wird.

Wie seht Ihr das? Wenn wenig wandelbare Organisationen in den nächsten Jahren von disruptiven Start-ups vom Markt verdrängt werden, wer braucht dann noch Change Management?

Hans-Werner Bormann: Das im Change Management weitverbreitete Denkbild „Wir müssen den Menschen mitnehmen“, den verstaubten Change-Management-Baukasten und die Vorstellung, dass zum Umsetzen von Veränderungen ein ausgeklügelter Projektplan und eine hochqualifizierte Kommunikationsabteilung reicht, braucht in der Tat niemand mehr. Und, Gabriela hat es schon angedeutet, genauso wenig hilfreich ist der Gedanke, Disruption, Agilität, Design Thinking, Digitale Transformation usw. würden die Axiome von sozialen Systemen – also Organisationen – außer Kraft setzen. Nachhaltige Musterwechsel im Denken, Verhalten und Entscheiden in einer Organisation – die Veränderung der organisationalen Identität – ergeben sich nun mal in den seltensten Fällen aus purer Einsicht. Sie erfordern eine gezielte Form von Aktivierung der Organisation, wenn die Veränderungsinitiativen ihre Ziele erreichen sollen. Genau diese wirksame und nützliche Aktivierung wird durch Co-Creation bewirkt.

Hans-Werner, Marcus, Gabriela, ich danke Euch für das spannende Gespräch!

Das Buch:

Foto: Campus Verlag

Hans-Werner Bormann, Marcus Benfer, Gabriela Bormann: Change durch Co-Creation. So verdoppeln Sie den Erfolg Ihrer Transformationsprojekte. Campus 2019, 320 Seiten, Hardcover gebunden, E-Book inklusive, Euro 39,95.

Erscheinungsdatum: 15.05.2019. Erhältlich im Buchhandel oder z.B. bei Campus oder Amazon.

Die Autoren:

Foto: Gabriela Bormann

Hans-Werner Bormann ist Mitbegründer und Geschäftsführender Gesellschafter der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden. Der diplomierte Wirtschaftsinformatiker mit langjähriger Expertise in der Organisationsentwicklung und Strategiefindung hat in seiner Laufbahn zahlreiche Change Management-Projekte in verschiedensten Organisationen beraten und entwickelt. Seit 2012 ist Hans-Werner Bormann Vorstandsvorsitzender des Fachverbandes Change Management im Bundesverband der Deutschen Unternehmensberater e.V. (BDU). Zudem hat er einen Lehrauftrag an der Hochschule Karlsruhe zum Thema »Die innovierende Organisation«.

Foto: Hans-Werner Bormann

Marcus Benfer ist ausgebildeter Systemischer Organisationsberater und Business Coach, studierter Psychologe, Philosoph und Kulturwissenschaftler. In seiner Laufbahn hat der überzeugte Out-of-the-Box-Denker mit den unterschiedlichsten Unternehmen und Organisationen gearbeitet, vom Start-up bis zum Dax-Konzern. In seiner Coaching- und Beratungstätigkeit setzt er seine Schwerpunkte im Change Management, im Lernen von Organisationen und in der Steigerung der organisationalen Wirksamkeit von Führungskräften und Managern.

Marcus Benfer ist Inhaber von benfer beratung in Köln und Lehrberater und Kooperationspartner der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden.

Foto: Hans-Werner Bormann

Gabriela Bormann ist Systemische Organisationsberaterin und Performance Business Coach. Nach ihrem Lehramtsstudium arbeitete sie über 20 Jahre in verschiedenen internationalen Führungs- und Beratungspositionen in der IT- und Telekommunikationsbranche. Seit 2012 hat sie mit ihrer eigenen, in Stegen bei Freiburg ansässigen Beratung DECIDE Consulting zahlreiche Veränderungsprozesse beraten und begleitet. Daneben liegen die Schwerpunkte ihrer Arbeit in der Bereichs- und Teamentwicklung sowie im Coaching und in der Beratung von Führungskräften und Top Executives.

Gabriela Bormann ist Lehrberaterin und Kooperationspartnerin der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden.

Die WSFB-Beratergruppe, seit zwei Jahrzehnten auf Organisationsberatung in Veränderungsprozessen spezialisiert, wurde zuletzt zum sechsten Mal in Folge von Mitbewerbern und Kunden als »Beste Berater« in den Kategorien »Change Management & Transformation, Strategieentwicklung, HR, Organisation und Banken« ausgezeichnet (organisiert von der Zeitschrift brand eins und dem Statistik-Portal Statista). Die systemische Ausbildung „Organisationale Veränderungsprozesse gestalten“ der WSFB-Gruppe mit jährlich zwei offenen Curricula ist seit inzwischen 17 Jahren eine etablierte Größe in der Weiterbildung für Change-Berater und Führungskräfte, sowohl für Beratungsunternehmen als auch für den Mittelstand und Dax-Konzerne aller Branchen.

Beitragsbild: Susan Yin, Unsplash

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